Anfrage

Rechtsschutzversicherung darf sich nicht auf Ausnahmesituationsklausel berufen

Laut einem (nicht rechtskräftigen) Urteil des Handelsgerichtes Wien ist der in vielen Versicherungsbedingungen vereinbarte Risikoausschluss, mit dem Rechtsschutzversicherungen die Versicherungsdeckung für coronabedingte Rechtsstreitigkeiten abgelehnt haben, unwirksam.

Die Corona-Pandemie bringt neben den weitreichenden gesundheitlichen Folgen und Einschränkungen des täglichen Lebens auch viele rechtliche Schwierigkeiten mit sich. So wurden etwa Flüge annulliert und gebuchte Reisen storniert, Saisonkarten können nicht genutzt werden und Veranstaltungen mussten abgesagt werden. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, welche rechtlichen Ansprüche die Konsumenten haben.

Da die rechtliche Beurteilung im Einzelfall oft schwierig ist und die Vertragspartner zum Teil überhaupt nicht auf entsprechende Anfragen der Konsumenten reagieren, haben viele Konsumenten bei ihrer Rechtsschutzversicherung angesucht, dass die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche von der Versicherung gedeckt werden. Allzu oft wurde der Versicherungsschutz zur Überraschung vieler aber unter Berufung auf die sogenannte „Ausnahmesituationsklausel“ abgelehnt. Bei dieser Ausnahmesituationsklausel handelt es sich um einen in den Versicherungsbedingungen vereinbarten Risikoausschluss.

Klage gegen die Ausnahmesituationsklausel

Aufgrund vieler Beschwerden über die Ablehnung der Versicherungsdeckung hat der Verein für Konsumenteninformation im Auftrag des Sozialministeriums eine sogenannte Verbandsklage gegen ein Versicherungsunternehmen beim Handelsgericht Wien eingebracht und in erster Instanz Recht bekommen. Das beklagte Versicherungsunternehmen hat in seinen Versicherungsbedingungen folgenden Risikoausschluss vorgesehen:

Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind.

Das Handelsgericht Wien erachtet in seiner Entscheidung vom 07.11.2020 zur Geschäftszahl 30 Cg 24/20m diese Klausel mit ausführlicher Begründung aus nachstehenden Gründen als ungültig:

Gröblich benachteiligend

Nach § 879 Absatz 3 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (kurz: ABGB) ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls ungültig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt. Da ein Risikoausschluss nicht eine Hauptleistung festlegt, hatte das Handelsgericht Wien zu prüfen, ob die Ausnahmesituationsklausel den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligt.

Das Handelsgericht Wien führte dazu aus, die Wortfolge „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit einer hoheitsrechtlichen Anordnung“ kann von einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer nur so interpretiert werden, dass jegliche Zusammenhänge mit einer hoheitsrechtlichen Anordnung davon umfasst sind. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes darf aber nicht jeder noch so ferne Zusammenhang mit einer hoheitsrechtlichen Anordnung für einen Risikoausschluss ausreichend sein. Vielmehr muss zwischen der hoheitsrechtlichen Anordnung und den rechtlichen Interessen, die durch die Versicherung gedeckt sein sollten, ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.

Da die Klausel somit zu einer unangemessen weiten Lücke des Versicherungsschutzes führt, erachtet sie das Handelsgericht Wien als gröblich benachteiligend und daher unwirksam.

Intransparent

Nach § 6 Absatz 3 des Konsumentenschutzgesetzes (kurz: KSchG) ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Klausel unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Man spricht in diesem Fall von einer sogenannten intransparenten Klausel.

Welche genaue Bedeutung die Wortfolge „mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind“ hat, ist nach Auffassung des Handelsgerichtes Wien für einen typischen, durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer unklar. Es sei nämlich nicht ersichtlich, ob damit nur Gesetze, oder auch Verordnungen und Richtlinien, Bescheide, Erläuterungen, Erlässe etc. gemeint seien. Unklar sei weiters, ob auch Empfehlungen der Regierungen oder individuelle Bescheide, die auch eine Personenmehrheit betreffen können, erfasst seien. Es sei auch nicht ersichtlich, ob davon nur hoheitsrechtliche Anordnungen von österreichischen Behörden, oder auch jene von ausländischen Behörden umfasst seien.

Auch das Wort „Ausnahmesituation“ könne laut Handelsgericht Wien nicht eindeutig ausgelegt werden. Die Klausel lege nämlich keine objektiven Parameter fest, nach denen das Vorliegen einer Ausnahmesituation determiniert werde.

Die Klausel sei daher intransparent, was ebenfalls zu ihrer Unwirksamkeit führt.

Welche Folgen hat das Urteil für Versicherungsnehmer?

Das Handelsgericht Wien sprach aus den genannten Gründen aus, dass es das beklagte Versicherungsunternehmen im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern binnen drei Monaten zu unterlassen hat, in ihren allgemeinen Versicherungsbedingungen die Ausnahmesituationsklausel oder sinngleiche Klauseln zu verwenden. Ferner darf sich das Versicherungsunternehmen ab sofort nicht mehr auf die Ausnahmesituationsklausel oder sinngleiche Klausel berufen.

Es ist zu beachten, dass das Urteil des Handelsgerichtes Wien nicht rechtskräftig ist. Somit bleibt abzuwarten, ob das Urteil bekämpft wird und wie in diesem Fall die oberen Instanzen entscheiden werden.

Aufgrund dieses Urteiles sollte man als Versicherungsnehmer aber eine auf die Ausnahmesituationsklausel gestützte Ablehnung der Rechtsschutzdeckung nicht vorschnell hinnehmen. Derzeit wird von den Rechtsschutzversicherungen oft noch der Standpunkt vertreten, dass es bei der Ablehnung der Rechtsschutzdeckung bleibt, weil das Urteil des Handelsgerichtes Wien nicht rechtskräftig ist. Sollte das Urteil aber von den oberen Instanzen bestätigt werden, können sich die Rechtsschutzversicherungen nicht mehr auf diese Ausnahmesituationsklausel stützen.

Zu bedenken ist weiters, dass die Versicherungsbedingungen anderer Versicherungsunternehmen teils einen Risikoausschluss mit ähnlichem Inhalt vorsehen, der Wortlaut des Risikoausschlusses aber vom Wortlaut der Ausnahmesituationsklausel, die Gegenstand des Verfahrens vor dem Handelsgericht Wien war, abweicht. Wenn auch in diesen Fällen der Risikoausschluss zu einer unangemessen weiten Lücke des Versicherungsschutzes führt bzw. die Formulierung intransparent ist, wird die entsprechende Klausel ebenfalls als ungültig anzusehen sein.

Hinweis

Das Urteil des Handelsgerichtes Wien kann über die Homepage des Verein für Konsumenteninformation im Volltext unter diesem Link abgerufen werden.

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